Gesundheit

Dialog auf Augenhöhe? "Ich fühle mich wie ein Kind, das mit einem Erwachsenen spricht"

Ende 2015 lag ich nach einem schweren epileptischen Anfall für zehn Tage im Koma. Schon davor war ich nach einer Gehirnblutung halbseitig gelähmt und konnte mehr schlecht als recht laufen. Durch das Koma hat sich meine körperliche Verfassung noch weiter verschlechtert, sodass ich nun komplett auf einen Rollstuhl angewiesen bin. So hat sich mir eine neue Perspektive auf die Welt eröffnet: aus der Sicht eines Rollstuhlfahrers.

Es beginnt schon mit dem Sitzen. Ich bin auf Augenhöhe eines Kindes. An der Supermarktkasse muss sich die Kassiererin zu mir hinunterbeugen, und wenn ich mit EC-Karte zahle, muss ich die Pin eintippen, ohne hinzusehen. Meistens jedenfalls. Die Sitzhöhe macht sich auch bei der Kommunikation mit anderen Menschen bemerkbar. Entweder ich blicke zu meinen Gesprächspartnern auf oder ich sehe ihnen auf den Schritt. Zu einem vernünftigen Dialog gehört aber die gleiche Augenhöhe. Intellektuell wie auch körperlich. Im Sitzen fühle ich mich, als wäre ich ein Kind, das mit einem Erwachsenen spricht.

Barrierefrei – mit einer Einschränkung

Dann sind da noch die sogenannten baulichen Gegebenheiten. Es ist zwar ein gutes Unterfangen, wenn die Hamburger Hochbahn eine Haltestelle, wie sie es bewirbt, barrierefrei ausbaut. Wenn aber der Ausbau nur darin besteht, das Niveau des Bahnsteigs auf das Bahnniveau anzugleichen, bringt mir das herzlich wenig – solange der Einbau eines Aufzugs auf sich warten lässt.

Sollte es mal einen Fahrstuhl an einer Haltestelle geben, ist er regelmäßig außer Betrieb. Es ist verblüffend, wie oft relativ neue Fahrstühle defekt sind und ausfallen. Die Technik existiert immerhin seit Mitte des 19. Jahrhunderts und dürfte keine Kinderkrankheiten mehr aufweisen. In solchen Fällen bin ich gezwungen, zum Teil riesige Umwege in Kauf zu nehmen, um an mein Ziel zu kommen. Da erweist es sich als einziger Vorteil, dass ich schon lange in Hamburg lebe und mich mit Bussen und Bahnen auskenne. Ortsfremde müssen erst einmal das Liniennetz studieren.

Aufzug außer Betrieb – diese Nachricht lauert überall

Barrierefreiheit? Na ja …

Da klafft leider immer noch eine extrem große Lücke zwischen der gesetzlichen Definition von Barrierefreiheit und der täglichen Praxis. Das bedeutet nicht, dass ich oder andere Menschen mit Gehbehinderung faul sind. Das Zurücklegen von Wegen sollte aber nicht anstrengender sein als es ohnehin schon ist. Gesund zu werden ist schon anstrengend genug.

Viele Menschen legen immer noch einen sehr verkrampften und unbeholfenen Umgang mit behinderten Menschen an den Tag. Ich will mein früheres Ich da gar nicht ausnehmen. Bevor ich in der jetzigen Situation war, habe ich genauso wenig über die Herausforderungen von Menschen mit Behinderungen nachgedacht wie wahrscheinlich der Großteil der Bevölkerung. Ein kaputter Fahrstuhl ist da eine vergleichweise kleine Unannehmlichkeit, die einen lediglich zwingt, eine Treppe zu benutzen.

Angestrengtes Wegsehen oder übertriebener Aktionismus

Im Laufe der Zeit habe ich ein Gespür dafür entwickelt, ob jemand wirklich hilfsbereit ist oder sein Gewissen beruhigen will. Meistens schwankt der Umgang mit mir zwischen angestrengtem Wegsehen und übertriebenem Aktionismus: Wenn jemand ungefragt und ohne Vorwarnung meinen Rollstuhl anschiebt, kann es passieren, dass meine Finger zwischen die Speichen des Rades kommen. Reicht man mir Sachen aus einem Supermarktregal, die ich gar nicht brauche, habe ich sie im ersten Überraschungsmoment schon manchmal nicht ablehnen können.

In meiner jetzigen Situation wünsche ich mir einen unverkrampfteren Umgang. Wenn ich Hilfe benötige, dann kann ich darum bitten. Ich versuche, so viel wie möglich selbst zu machen, denn nur so schaffe ich es irgendwann, nicht mehr auf den Rollstuhl angewiesen zu sein. Also: locker machen, ich bin ganz normal.

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